Die Welt, in der wir Menschen mit unseren Hunden leben ist zum Teil eine sehr hektische und sehr laute Welt. Viele Menschen stehen durch verschiedenste Faktoren enorm unter Stress. Nicht jedem Menschen gelingt es, den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden. Spricht man allerdings mit Menschen über die Erwartungen, die sie an ihre vierbeinigen Familienmitglieder stellen, fallen diese mitunter recht hoch aus.
Gerade bei meiner Arbeit als Trainerin bekomme ich auf meine Frage nach dem Trainingsziel/-wunsch doch immer eine nicht unerhebliche Menge an Verhaltensweisen aufgezählt, die sich Menschen von ihren Hunden wünschen:
- Eigentlich soll er nur kommen, wenn man ihn ruft
- Er sollte nicht zu jedem Hund hinwollen
- So ca. 3 bis 5 Stunden sollte er allein bleiben können, weil wir ja arbeiten müssen
- Nach Möglichkeit sollte der Hund artig an der Leine laufen
- Beim Autofahren sollte er brav sein und auch im Auto allein bleiben können
- Gut wäre auch, wenn er sich mit anderen Hunden verträgt ... dann sind die Spaziergänge nicht so stressig
- Verträglich mit Kindern soll er natürlich auch sein
- Er soll Frauen mögen
- Er soll Männer mögen
- Ich würde gern mit ihm joggen oder Rad fahren
- Gelegentlich muss unser Hund auch mal mit in die Stadt – auch das sollte kein Problem darstellen
- Er sollte kein aggressives Verhalten gegenüber Menschen zeigen
- Auch kein aggressives Verhalten gegenüber anderen Hunden
- Ach, und bitte den Besuch nicht anspringen oder anbellen
- Auch ansonsten niemanden anspringen oder anbellen
- Bellen vielleicht am besten nur dann, wenn der Einbrecher kommt
- Andere Geräusche soll der Hunde bitte nicht mit Bellen kommentieren
- Er soll auf die „Kommandos“ („Signale“) hören, aber natürlich nicht nur für Leckerli, sondern einfach so, weil Mensch es ihm sagt
Diese und ähnliche Aussagen gehören zu den Standards. Ich kann die Wünsche der Menschen durchaus nachvollziehen: Wer wünscht sich nicht einen wohlerzogenen Hund. Einen Hund, der einfach gut an unseren Alltag angepasst ist. Aber können unsere Hunde dem gerecht werden? Sie erbringen schon allein dadurch, dass sie sich in unserer Welt zurechtfinden müssen, eine sehr hohe Anpassungsleistung. Allein die täglichen Gassi-Runden verlangen mit ihren unendlich vielen Düften und Gerüchen der Umwelt schon ein hohes Maß an Disziplin von einem Hund ab. Die vielen Hundebegegnungen, denen ein Stadthund ausgesetzt ist und die ihm, je nach Persönlichkeit des Hundes, unter Umständen ebenfalls ein hohes Maß an Kontrolle abverlangen.
Sei es, weil er gern mit anderen Hunden spielen möchte oder, weil er sich vielleicht nicht bei jeder Hundebegegnung gut fühlt, aber dies dann aushalten muss, weil er durch eine Leine begrenzt ist. Gut und richtig für unsere Hunde wäre, dass die Menschen sich darüber bewusst sind, dass viele der aufgezählten Trainingswünsche nicht von jedem Hund in Eigenleistung bzw. generell nicht von jedem Hund erbracht werden können. Es mag sicher Hunde geben, die ohne großen Trainingsaufwand einfach so durch sämtliche Situationen gehen, ohne dabei auffällig zu werden oder Schaden zu nehmen. Jeder Hund ist, wie auch jeder Mensch, ein Individuum. Jeder Hund bringt andere Voraussetzungen mit – eine andere Persönlichkeit.
Hunde benötigen Zeit, um gewisse Anforderungen erfüllen zu können, die ihre Menschen an sie stellen. Man muss sich aber ebenfalls darüber bewusst sein, dass nicht jeder Hund immer alles wird leisten können. Wenn man das ganze Thema dann mal auf Menschen allgemein oder auch auf sich selber bezieht, wird einem schnell klar, dass auch viele Menschen nicht alles leisten können, was der Alltag so mit sich bringt. Es gibt genug Menschen, die es mit vielen anderen Menschen auf engem Raum zum Beispiel nicht aushalten können – die einfach keine Menschenmassen mögen. So ähnlich geht es auch einigen Hunden. Auch sie haben ihre Individualdistanz – einen Abstand zu anderen Lebewesen, der ihnen noch angenehm/nicht zu eng erscheint.
Manche Menschen sind nicht gern allein, fahren nicht gern Auto oder neigen bei Überforderung zu aggressiven Verhaltensweisen. Man muss kein Hundeexperte sein, um sich ganz einfach vorstellen zu können, dass es unseren Hunden ähnlich geht. Auch ihre Anpassungen an Gegebenheiten, Situationen etc. haben Grenzen. Jeder, der es für selbstverständlich hält, dass sein Hund einfach so jede Alltagssituation meistern müsste, sollte vielleicht mal darüber nachdenken, ob denn er selber oder beispielsweise Menschen in seinem Umfeld eine solche Leistung erbringen können. Schnell kommt man zu dem Ergebnis, dass es niemand schafft, immer angepasst zu sein. Wenn wir uns gewisse Verhaltensweisen im Alltag von unseren Hunden wünschen, dann müssen wir unsererseits dafür die Voraussetzungen schaffen und versuchen, dieses Ziel durch ein positives Training zu erreichen. Dabei muss man allerdings immer wieder berücksichtigen, dass auch Training seine Grenzen hat.
Wenn ich ein Hund wäre ... wünschte ich mir, dass meinem Menschen klar ist, dass ich auch nur ein Hund mit persönlichen Stärken und Schwächen bin. Dass mir manche Dinge ganz leicht fallen, andere aber wiederum sehr schwer. Das ich manches durch gezieltes, kleinschrittiges Training werde bewältigen können, aber manches trotz Trainings eben auch nicht. Ganz sicher werde ich bei den mir gestellten Aufgaben immer wieder auf die Hilfe und die Geduld meines Menschen angewiesen sein.
Autorin: Clarissa Mayer-Trommer - Tierpsychologische Beratung
Erschienen in der „Mein Herz bellt“ Ausgabe 17/2016
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