Als ich meinen Hund Pina vor einigen Jahren erst ganz frisch bei uns hatte, stellte ich sie meiner besten Freundin vor. Diese war ebenfalls Hundehalterin und eine der ersten Fragen, die sie mir stellte, war: „Du kannst ihr aber den Futternapf wegnehmen, oder?“
Da wir den Hund erst kurze Zeit zuvor aus dem Tierheim abgeholt hatten, hatte ich das noch nicht probiert und fühlte mich damals irgendwie ertappt, da ich anscheinend eine so wichtige Sache noch nicht überprüft hatte. Ich war mit Hunden aufgewachsen und wir konnten denen tatsächlich immer Dinge abnehmen… ehrlich gesagt kam es aber so gut wie nie vor und wir hatten das auch nie gezielt geübt.
Einen Tag später setzte ich mich neben Pina, als sie eine Kaustange aß, sprach sie an, nahm die Stange kurz weg und da sie das ohne irgendeine Reaktion zuließ, gab ich sie ihr sofort wieder. Anscheinend war alles gut. Trotzdem dachte ich damals schon darüber nach, warum es so wichtig sei, dem Hund sein Essen wegnehmen zu können? War ich sonst kein Rudelführer? Nahm sie mich sonst nicht ernst? Stimmte sonst etwas in der Rangordnung nicht? Immerhin hatte Pina mehrere Monate in einem Tierheim mit Gruppenhaltung gelebt, war dünn und voller Macken. Irgendwie kam es mir tatsächlich wichtig vor, dass sie in ihrem neuen zu Hause die Sicherheit hatte, dass ihr niemand mehr etwas wegnahm.
Was passiert in unseren Hunden, wenn wir ihnen einfach so etwas wegnehmen? Vielleicht sogar direkt aus der Schnauze heraus?
Stell dir vor, du sitzt am Küchentisch und hast dir gerade ein leckeres Frühstück vorbereitet. Dein Partner kommt rein und gerade, als du anfangen willst zu essen, nimmt er dir den Teller weg. Nach ein paar Sekunden stellt er ihn wieder hin. Das macht er nun jeden Morgen, wenn er in die Küche kommt und ich bin mir recht sicher, spätestens am dritten Morgen wirst du schon angespannt, wenn dein Partner die Küche nur betritt.
Du wirst nicht entspannt essen können, weil du immer die Sorge hast, dein Partner nimmt dir den Teller wieder weg, denn mal ehrlich: Selbst, wenn er ihn dir nach einiger Zeit wieder gibt, nervt das schon und fühlt sich auch nicht gut für dich an.
So ähnlich geht es auch unseren Hunden: Nimmt man ihnen Futter oder Spielzeug einfach weg, so werden die meisten das zunächst mitmachen. Macht man das aber häufiger, so wird der Hund beginnen, sich unwohl zu fühlen, sobald wir als Bezugsperson uns nähern. Er wird angespannter werden und vielleicht schneller essen oder sein Spielzeug wegtragen. Aber selbst, wenn er nichts macht und es ohne Gegenwehr zulässt, ist das Gefühl nicht angenehm.
Aber wie geht es besser? Im Ernstfall muss sich der Hund ja nun mal Dinge abnehmen lassen!
Wenn ich mir die Situation in der Küche nochmal vorstelle, aber diesmal kommt mein Partner zur Tür herein und legt mir einen Muffin zu meinem Frühstück, am zweiten Tag ein Stück Schokolade und am dritten Tag ein frisches Croissant… Wie würde ich mich dann fühlen, wenn er die Küche betritt? Sehr wahrscheinlich wäre ich entspannt und erfreut und würde mich fragen, was er mir heute Leckeres mitgebracht hat.
Hunde und Menschen sind sich emotional sehr ähnlich. Wenn ich also möchte, dass mein Hund meine Annäherung als angenehm empfindet, auch wenn er gerade frisst oder eine andere für ihn wichtige Ressource hat, so mache ich es genauso: ich tue ihm etwas Gutes zu seinem vorhandenen Futter/Spielzeug dazu. Und sein Essen/Spielzeug lasse ich ihm trotzdem! Sehr schnell wird der Hund lernen: Wenn Herrchen oder Frauchen kommen, ist es super und das macht auch im Hund angenehme Gefühle.
Ich kann den Effekt auch für gezieltes Training nutzen: Wenn ich das gezielte Ausgeben von Gegenständen aufbauen möchte, so gebe ich dem Hund etwas ganz Tolles zu seinem Essen (oder Spielzeug oder was auch immer er gerade Wichtiges hat) dazu. Es sollte etwas sein, das für den Hund noch toller ist als das, was er gerade schon hat. Wenn er dann sein Futter/Spielzeug fallen lässt für das tolle Goodie, das du ihm hinlegst, so kannst du das Verhalten des Loslassens mit einem Markersignal bestätigen. Anschließend darf der Hund das Super-Goodie fressen, sein vorheriges Futter/Spielzeug aber auch noch behalten.
Klappt das gut und vorhersehbar, so kannst du ein Signal vor das Verhalten setzen, z.B.: „Aus“, „Gib her“, „Drop it“ oder was immer du magst. Dein Hund wird das Verhalten mit dem Signal verknüpfen und so hast du ein Ausgeben auf Signal aufgebaut, ohne dass der Hund dabei unangenehme Gefühle hatte.
Und dieses Signal funktioniert dann auch super im Notfall, wenn dein Hund etwas aufgenommen hat, was für ihn z.B. gefährlich ist.
Autor: Nadine Schiffer
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