Das was ich liebevoll Welpenwahnsinn oder die „irren 55 Minuten“ nenne, ist von Welpe zu Welpe so unterschiedlich ausgeprägt, dass ich mir sicher bin, einige Menschen werden nicht verstehen, wovon ich spreche. Die Menschen, die ich ansprechen möchte, werden sofort wissen was ich meine. Es sind nicht die niedlichen Welpen, die ihre Spielsachen herumschleudern, einen Rennflash bekommen und ihre Kauwurzel traktieren. Es sind die Welpen, die in alles beißen was sich bewegt (oder nicht bewegt), die regelrechte Wutanfälle bekommen wenn man sie einschränkt, die auf lautes „quietschen“ ihrer Menschen nur noch fester zupacken, die man nicht streicheln, geschweige denn mit ihnen schmusen kann.
Die Welpen, die nicht zur Ruhe kommen, sondern irgendwann erschöpft umfallen und einfach schlafen. Viele leider nur kurz, was tatsächlich ein Teil des Problems ist. Welpen, denen es egal ist, ob sie kleinen oder große Menschen gegenüberstehen. Die auch weiterbeißen, wenn Blut fließt und die augenscheinlich durch nichts zu beeindrucken sind.
Dazu kommen Halter, die sich alles ganz anders vorgestellt haben. Die glauben sie machen alles falsch. Die befürchten, die Gewalt könne sich potenzieren und der Hund im Erwachsenenalter eine echte Gefahr darstellen. Es ist schwierig sich Fotos von deinem niedlichen Welpen anzuschauen und von allen zu hören, wie süß und unfassbar niedlich der kleine Hund doch ist, während er im realen Leben regelmäßig zur Schnappschildkröte mutiert. Selbst dieses Wort ist noch verniedlichend und spiegelt nicht wirklich, was sich oft in diesen Stunden des Welpenwahnsinns abspielt.
Ich möchte mit euch teilen, was mir jedes Mal hilft, wenn ich mit Getöse in die Welpenrealität krache:
- Ich benenne das Alter des Welpen wie ein Mantra. Er/sie ist erst 10/12/14 Wochen alt und mit vielen neuen Reizen überfordert. Es fehlt bei einem so jungen Tier an Reife und geeigneten Strategien, um sich zu regulieren bzw. viele neue Eindrücke zu verarbeiten.
- Ich habe nicht zwangsläufig etwas falsch gemacht. Es schadet aber nicht darüber nachzudenken, ob mein Hund satt ist und das Futter gut verträgt (wie sieht der Output aus? Wie oft kommt Output?). Wer Hunger hat kann nicht gut schlafen und wacht u.U. genervt auf. Schläft er genug? Beschäftige ich ihn zu viel oder zu wenig?
- Wie kann ich managen, dass ich und andere nicht verletzt werden? Immer dann, wenn uns selbst etwas weh tut, verlieren wir leicht die Kontrolle. Aggressionen kann man nicht mit Aggressionen heilen. Alles was zurzeit zwischen dir und deinem Welpen passiert, merkt er sich unter Umständen lebenslang. Während die Phase der wilden Beißerei bald vorbei geht, hat dein Hund gelernt dich oder deine Hände zu fürchten. Außerdem hast du dir als Hundeliebhaber keinen Hund angeschafft, um ihm weh zu tun, davon bin ich überzeugt.
- Überleg dir, welche Übungen du in den guten Phasen (die es immer auch gibt) trainieren möchtest. Ein neu eingezogener Hund kann in der Regel noch wenig bis gar nichts. Trotzdem bombardieren wir junge Hunde mit Wörtern wie „nein, aus, pfui“ um zu signalisieren, dass sie unerwünschtes Verhalten zeigen. Bitte mach dir bewusst, dass dein Welpe immer mindestens 5 Dinge auf einmal tut (z.B. mit den Ohren wackeln, das Maul aufreißen, die Pfoten bewegen, mit der Rute wedeln und beißen). Wenn du in diesem Moment „aus“ sagst, hat er/sie keine Ahnung was du von ihm willst.
Das merkt man oft daran, dass sie ungestört weiter machen, was sie vorher getan haben. Immer wenn dein Welpe dich beißt und du sagst „aus“ oder „aua“, lernt er lediglich, dass beißen so heißt.
Mach dir die Lerntheorie zu Nutze und sag „sitz“, wenn er sitzt, sag „komm“, wenn er auf dich zuläuft und sag „aus“, wenn Dinge aus seinem Maul purzeln. Wiederhole bei jeder Gelegenheit und setze Futter zur Belohnung ein.
Nach kurzer Zeit machst du die Gegenprobe. Dein Hund steht, du sagst sitz. Setzt er sich? Prima - die Belohnung nicht vergessen! Bleibt er stehen und schaut dich verständnislos an? Dann benenn das erwünschte Verhalten im Alltag noch weiter, während der Welpe es zeigt. Je mehr dein Hund kann, desto besser kannst du ihm in einer Welpenattacke sagen, was er stattdessen tun soll. Sitzen, kommen oder auf die Decke gehen. Sogar Pfötchen geben, die Hose loslassen oder sich hinlegen, sind echte Informationen, die helfen. Sei aber darauf eingestellt, dass er es nicht oder nur kurz schafft. Lass dich nicht entmutigen und bleib am Ball. Vergiss nicht dir durch z.B. Türgitter „sichere Zonen“ zu schaffen, so dass du durchschnaufen und geduldig bleiben kannst.
- Dein Hund zahnt zu allem Unglück womöglich auch noch gerade. 28 nadelspitze Welpenzähne sollen bis zum Erreichen des 7. Lebensmonat, 42 großen Zähnen Platz machen. Das geht bei vielen Hunden nicht komplikationslos. Es gibt Tage, an denen es im Maul drückt, das Zahnfleisch geschwollen und der Drang in etwas zu beißen, sehr groß ist. Biete unterschiedlich beschaffene Gegenstände an. Hier standen gewässerte (damit sie nicht splittern) Apfelbaumäste hoch im Kurs, Waschlappen aus der Kühltruhe, Hartgummispielzeug oder Trockenkauartikel.
- Vergiss nicht, dass Hunde durch die Konsequenzen lernen, die auf ihr Verhalten folgen. Wenn dein Welpe dich beißt und du ihm deine volle Aufmerksamkeit schenkst, aufschreist oder ihn schubst, dann weiß ich, was ich als Welpe tun würde, wenn mir langweilig ist oder ich Kontakt möchte. Denk an die Managementmaßnahmen, um dich zu schützen. Versuch das unerwünschte Verhalten umzulenken. Nimm ein Spielzeug in die Hand und spielt zusammen. Das Ziel ist, dass der Hund in Zukunft weiß, was er tun muss, wenn er deine Aufmerksamkeit möchte: Mit einem Spielzeug spielen, dann kommst du nämlich dazu. Es dauert eine Weile, aber irgendwann wird er es verstehen.
- Wenn du verzweifelt, traurig, wütend oder hilflos bist, hol dir Hilfe. Wenn dir andere Menschen empfehlen dich richtig durchzusetzen, ihm zu zeigen wer der Chef ist, den Hund einzusperren oder allein zu lassen, such weiter. Diese Informationen sind veraltet. Schaff dir Inseln. Wer kann für 2 Stunden auf deinen Hund aufpassen, während du durchschnaufst? Ihr habt ein wundervolles Leben vor euch, du musst noch ein wenig durchhalten und gewaltfrei bleiben. Die gute Nachricht habe ich mir nämlich für den Schluss aufgehoben:
Egal ob du trainierst oder nicht, diese Zeit geht vorbei. Es ist nämlich nur eine Phase.
Autor: Dagmar Spillner
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