Aktive und passive Demut

Wahrscheinlich kommt euch die folgende Szene bekannt vor. Ein Hund erblickt einen anderen Hund, läuft schnell und direkt auf ihn zu, geht auf den letzten Metern in eine leicht abgeduckte Haltung und nimmt dann sehr aktiv Kontakt auf. Dabei stupst er häufig mit der Schnauze ins Gesicht des anderen Hundes und wedelt so intensiv, dass der ganze Körper zu wedeln scheint. Diese Körperhaltungen und Bewegungen kommen uns möglicherweise bekannt vor. Oft verhalten sich Hunde beim Begrüßen von Menschen sehr ähnlich, es wirkt wie eine freudige, ausgelassene Begrüßung.

Wenn wir einen Blick in die vergleichende Verhaltensforschung werfen, finden wir dieses Verhalten dort unter dem Stichwort „aktive Demut“. Diese Form der Kontaktaufnahme zeigen vor allem die Jungtiere eines Sozialverbandes den erwachsenen Tieren gegenüber. In den Körperhaltungen und Bewegungen finden sich viele Details, die sonst nur sehr junge Welpen gegenüber der Mutterhündin zeigen. Das Stupsen gegen die Mundwinkel gehört z.B. dazu, es löst bei der Mutterhündin das Vorwürgen von Futter aus, das die Welpen in dieser Phase ernährt. Solche welpentypischen Verhaltensweisen wirken kindlich und werden von den Jungtieren eingesetzt, um sich den erwachsenen, überlegenen Tieren gegenüber klein und harmlos zu zeigen. Im weiteren Zusammenleben werden diese Signale bei der Kontaktaufnahme unter Artgenossen mehr oder weniger deutlich gezeigt, wenn es darum geht, freundlich in Kontakt zu treten. Oft werden dann z.B. nur die Ohren etwas angelegt, der Kopf leicht gesenkt und von dem wilden Ganzkörperwedeln ist nur ein leichtes Pendeln des Körpers während der Annäherung übriggeblieben, aber das reicht aus, um die freundliche Gestimmtheit auszudrücken.

Wenn ein Hund bei einer Kontaktaufnahme die Elemente der aktiven Demut sehr intensiv zeigt, dann ist sein Bedürfnis sich freundlich und harmlos zu präsentieren offensichtlich sehr groß. In diesen Situationen sind sich die Hunde der freundlichen Stimmung ihres Gegenübers wohl nicht sicher und verhalten sich deshalb maximal beschwichtigend. Dazu passt, dass die Hunde dann gleichzeitig auch sehr aufgeregt sind. Diese freundliche, aber auch sehr aufgeregte Kontaktsuche ist also nicht nur ein Zeichen von freundlicher Stimmung. Gerade wenn sie sehr intensiv ist, steht da auch eine gewisse Unsicherheit dahinter. Es wird beschwichtigt, um Konflikte im Vorfeld zu vermeiden.

Im natürlichen Sozialverband funktioniert diese Strategie in aller Regel gut. Unsere Familienhunde sind aber leider häufig in sehr unnatürlichen Situationen. Begegnungen mit fremden Hunden und Menschen sind nicht so einfach, wie wir uns das vorstellen, hier wird das Bedürfnis zu beschwichtigen oft extrem und die zappelnden, immer wieder sehr nahe kommenden Hunde werden von ihrem Gegenüber als Belästigung empfunden. Bei der Begrüßung von Menschen entsteht hier auch nahezu automatisch ein unerwünschtes Verhalten: Die Hunde suchen den Mundwinkel und springen deshalb an den Menschen hoch. Das demütige Verhalten bewirkt dann schnell das Gegenteil und die so begrüßten Hunde oder Menschen reagieren zunehmend ärgerlich und bedrohlich.

Oft wird die aufgeregte Kontaktsuchen dann zunächst noch intensiver. Erst bei stärkeren abweisenden Reaktionen wechseln die Hunde dann in eine andere Form des Demutsverhaltens: Sie bewegen sich kaum noch, klemmen die Rute, vermeiden Blickkontakt und legen sich häufig auf den Rücken. Diese Form sich unterlegen zu zeigen, wird passive Demut genannt und meist als Reaktion auf eine konkrete Bedrohung gewählt. Die aufgeregte Ehrfurcht, die in der aktiven Demut zum Ausdruck kommt, ist dann in eine konkrete Angst umgeschlagen. So weit sollten wir es nicht kommen lassen.

Wenn ein Hund intensives Demutsverhalten zeigt, aufgeregt in Kontakt geht, immer wieder mit tiefen Körperhaltungen herankommt und sich nicht mehr von seinem Gegenüber lösen kann, dann ist das für diesen Hund eine schwierige Situation. Wir sollten also überlegen, wie wir dem Hund helfen können, mehr Vertrauen aufzubauen und es so möglich wird, gelassener mit solchen Begegnungen umzugehen. In der konkreten Situation ist es meist eine gute Idee zunächst selbst sehr ruhig zu bleiben und für Ablenkung zu sorgen. Geht es um das Begrüßen von Menschen, machen Versuche das Verhalten mit direkten Einwirkungen „zu unterbinden“ keinen Sinn, man wird das Bedürfnis sich unterlegen zu zeigen nur stärker machen. Je ruhiger und gelassener man selbst bleibt, desto schneller wird sich der Hund beruhigen können. Unterwegs macht es bei Hundebegegnungen oft Sinn, sich in Bewegung zu setzen bzw. in Bewegung zu bleiben, gemeinsam einfach ein Stück zusammen zu laufen, denn so lenken wir die Aufmerksamkeit der Hunde automatisch auf die Umwelt. So sind sie schnell weniger miteinander, sondern gemeinsam mit der Umwelt beschäftigt. Was im Einzelfall sinnvoll ist, ergibt sich aus dem Gedanken, dass der demütige Hund in erster Linie Konflikte vermeiden möchte, indem er den Kontakt sucht und sich dabei welpenhaft und unterlegen zeigt.

Autor: Gerrit Stephan
Video: Valentina Fidlschuster

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